Dazwischen
- die COACHIN

- 10. Juli
- 4 Min. Lesezeit

"Weißt du, welcher Tag morgen ist?
Morgen ist mein Glückstag."
"Und warum?"
"Morgen ist mein erster Schultag."
Als ich das Gespräch meiner beiden Söhne belausche, wird mir ganz warm ums Herz. Berührend, wie sehr er sich freut – auf die Schule, auf das Lernen, auf das Unbekannte, ohne genau zu wissen, was ihn erwartet.
Das war vor über einem Jahr.
Heute sitzen wir hier, etwas wehmütig und ratlos. Neben mir liegt eine Visitenkarte mit den Worten "Psychotherapie für Kinder", und daneben die Überweisung der Kinderärztin. Sie hat den hartnäckigen Reizhusten meines Sohnes gründlich untersucht, nur um uns dann mitzuteilen, dass es keine medizinische Ursache gibt. "Wahrscheinlich stressbedingt", fügt sie hinzu. "Ganz normal bei Kindern. Sie haben Bauchweh, Kopfweh – alles ohne wirklich krank zu sein. Das ist ein Mechanismus." Der Körper verarbeitet, was der Kopf nicht begreifen kann.
Völlig normal.
Wirklich?
Ich bin ein großer Fan von Psychotherapie. Ich habe selbst so viele verschiedene Ansätze für mich nutzen können, ja, ich habe sogar einige Ausbildungen absolviert. Therapie ist wichtig und richtig.
Was mich allerdings ins Staunen bringt, ist die Art und Weise, wie wir damit umgehen. Denn das Phänomen ist nicht neu, oder? Kinder freuen sich auf die Schule, solange sie noch nicht dort sind. Dass sich diese Freude irgendwann wandelt, scheint fest dazuzugehören. "Da müssen wir alle durch," hat meine Mutter oft zu mir gesagt.
Müssen wir das wirklich?
Der Sprung vom Glückstag bis hin zur ständigen Frage, wann die nächsten Ferien sind, war erschreckend kurz. Das formuliere ich auch bei der Lehrerin meines Sohnes, die es wohl persönlich nimmt und mich schnell in das Eck "Systemverweigerer" stellt. Diese Worte benutzt sie tatsächlich. Nun kommt neben all den genannten Gefühlen auch noch etwas Ratlosigkeit hinzu. Wann können wir damit beginnen uns auf einer Ebene des Austauschs zu begegnen, ohne die Dinge persönlich zu nehmen und uns angegriffen fühlen? Es geht mir nicht darum Schuldige an den Pranger zu stellen - da kann ich mich als nervende Mama gleich daneben stellen.
Es geht doch darum, dass wir uns fragen dürfen ob das jetzige Schulsystem noch gut ist, wie es ist. In Österreich gab es in der Vergangenheit 2 große Schulreformen - eine unter Kaiserin Maria Theresia und eine 1962. Ja genau, 1962. Das war die Generation meiner Eltern, die Baby Boomer die nach dem 2. Weltkrieg eilig die Ärmel hochkrempelten um die Welt wieder aufzubauen. Seitdem hat sich nicht so viel getan. Es werden noch immer die Fehler bestraft, die Kinder lernen, dass sie fürs brave Wiedergeben diverser Inhalte Sternchen sammeln können. Inwiefern das auf das Leben vorbereitet, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Ist es wirklich essentiell, dass jeder weiß in welchem Jahr Tutenchamun gestorben ist? Oder ist es vielleicht essentieller die eigenen Stärken und Schwächen kennenzulernen, neugierig aufs Leben zu bleiben, sein eigener Experte zu werden und den Umgang mit Geld zu lernen?
"Ich weiß, ihr alle denkt eure Kinder sind einzigartig und Sternchen. Jeder hat einen Prinzen und eine Prinzessin daheim. Die Wahrheit ist: sie sind nicht besonders." So oder ähnlich hat eine Direktorin mal einen neuen Jahrgang in der Schule begrüßt. Sie sind nicht besonders. Das schreit es in mir. NATÜRLICH SIND SIE ES. Sind wir doch alle! Wir haben nur leider vergessen was unsere Talente und Gaben sind und funktionieren in gut geölten Hamsterrädern, um tagtäglich ToDos abzuarbeiten und die längst vergessenen Träume haben wir in eine Kiste in den Schrank gepackt.
Das mag verbittert klingen. Ist es aber nicht. Weil in mir ist der große Wunsch, der Antrieb und auch der Glaube daran, dass wir etwas ändern können - wenn wir wollen.
Diese Frage stelle ich laut, als ich bei einem Diskussionsabend im Future Health Lab der Stiftung Megabildung sitze. Ich höre von PERMA Teach, Mentorenkonzepten an Schulen, lerne motivierte Lehrer und zahlreiche Interessierte kennen. Ich schöpfe Hoffnung. Es gibt andere Wege.
Es gibt inzwischen zahlreiche alternative Schulen, die versuchen, es besser oder zumindest anders zu machen. Da ist dann oft das andere Extrem: Waldschulen, offene Schulen, Privatschulen, die noch keine echten Privatschulen sind. Alles gute Ansätze, meist aber unfassbar teuer. Und wenn es nicht das Geld ist, was mich davon abgehalten hat, meinen Sohn in eine solche Schule zu schicken, dann war es die Sorge, ihn nicht ausreichend auf die Welt da draußen vorzubereiten – ihn in einer Blase großzuziehen, die irgendwann platzen könnte. Zu wenig "normal" zu sein. Wobei, was ist denn normal? Ist es normal das Kind in Therapie zu schicken, damit es im Schulalltag gut funktioniert?
Und auch wenn ich seit Jahren auf eine neue, große, 3. (!!) Bildungsreform in Österreich hoffe, ist meine Frage, was wir inzwischen machen können. Was ist denn die Lösung bis dahin? Gibt es denn nichts dazwischen?
Die Fragen, die ich mir stelle, sind vielfältig, und doch führen sie mich immer wieder zum selben Punkt: Es muss sich wohl etwas ändern. Im großen Ganzen. Mentale Gesundheit als Schulfach, Resilienztraining, Human Design für Kinder – die Ideen sind verschieden. Ein Besuch beim Psychotherapeuten sollte auf dieser Liste durchaus Platz finden. Aber er darf nicht die einzige Lösung sein – und vor allem nicht zur Normalität werden.
Ich höre meinen Sohn husten und werde aus den Gedanken gerissen.








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