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Writer's picturedie COACHIN

Von Klapphandys und Konsum: Wie frei sind wir wirklich?

-- English Version below --



Mein allererster Job nach dem Studium führte mich in ein großes, farbenfrohes Telekommunikationsunternehmen. Dort, im Bereich Business Marketing, ging es darum, möglichst viele SIM-Karten zu verkaufen, lukrative Deals abzuschließen und der übermächtigen Nummer eins am Markt den Rang abzulaufen. Es war die Zeit der Motorola-Klapphandys – je kleiner, desto besser. Mein damaliger Chef sprach oft über die neuesten Trends und Entwicklungen.


Er sagte etwas, das mich damals ins Grübeln brachte: Die Handys, meinte er, würden bald wieder größer werden. Riesige Bildschirme. Menschen würden sie nicht mehr nur zum Telefonieren nutzen, sondern zum Fernsehschauen, Fotografieren, Musik hören – die Möglichkeiten wären grenzenlos. Auch für die Geschäftswelt würden sich Türen öffnen: Jeder hätte sein Gerät immer dabei, und es würde Dinge wie Brieftasche, Kamera und iPod überflüssig machen. Ich erinnere mich noch genau an meinen ersten Gedanken: Bullshit. Niemals würden wir uns so steuern lassen. Wir haben doch einen freien Willen, oder nicht?


Ein paar Jahre später, in meinem zweiten Job als Unternehmensberaterin, durfte ich an der Innovationsstrategie eines noch größeren internationalen Telekommunikationskonzerns mitarbeiten. Dort begriff ich: Trends sind nicht zufällig. Sie sind geplant. Meine Überzeugung, dass Handys weiterhin klein und handlich bleiben würden, war naiv. Der Markt entwickelte sich – genau so, wie er sollte. Richtung Smartphone. Richtung Daten. Und wir alle sprangen begeistert auf diesen Zug auf, ohne zu merken, wohin die Reise wirklich ging.

Kundendaten wurden das neue Gold. Werbung wurde maßgeschneidert, in Echtzeit ausgeliefert. Alles drehte sich darum, uns das beste Angebot zu präsentieren – und doch landeten wir in einer Spirale endlosen Konsums. Wir wollten immer mehr, ohne zu hinterfragen, warum.


Vom freien Willen zur unsichtbaren Steuerung

Heute, viele Jahre später, sind Smartphones aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Der Griff zum Handy ist reflexartig geworden. Es ist nicht nur ein Werkzeug, sondern ein ständiger Begleiter, der uns in vielerlei Hinsicht beeinflusst – aber selten zu unserem Wohlbefinden.


Auf Social Media vergleichen wir uns unaufhörlich, fühlen uns ungenügend, stopfen emotionale Löcher mit Konsum. Wir wollen Dinge, noch bevor wir wissen, dass wir sie wollen. Und während wir glauben, Entscheidungen aus freiem Willen zu treffen, werden Meinungen geformt, Wahlen entschieden, Beziehungen initiiert – subtil, still, unbemerkt.


Gefährlich.

So empfinde ich es, weil ich merke, wie schwer es mir selbst fällt, das Handy aus der Hand zu legen. Es bietet so schnelle Ablenkung: ein kurzer Blick, ein paar Likes – und der Tag fühlt sich plötzlich besser an.

Gefährlich.

Weil es keine bewusste Entscheidung mehr ist, sondern eine unbewusste Sucht.


Eine neue Generation der Selbstbestimmung?

In Australien wird darüber diskutiert, Social Media für Jugendliche unter 16 Jahren zu verbieten. Und obwohl ich ein großer Verfechter von Selbstbestimmung bin, frage ich mich: Wäre das vielleicht eine gute Idee? Könnte es helfen, dass junge Menschen zuerst ihr eigenes Selbstbild festigen, bevor sie es mit unrealen, retuschierten Bildern auf Social Media vergleichen?


Wann fangen wir wieder an, aus unserer eigenen Kraft heraus zu entscheiden, was wir wirklich wollen?


Ich habe fast ein Jahr ohne Handy gelebt. Während meiner 11-monatigen Weltreise gab es in Afrika oft keinen Empfang. Wir waren gezwungen, im Moment zu sein. Ich habe erlebt, wie still der Kopf werden kann. Ich kenne den Unterschied.


Ich sage nicht, dass wir alle ein Leben ohne Handy führen sollen. Aber ich wünsche mir, dass wir bewusster werden. Dass wir unsere Entscheidungen wieder selbst treffen – selbstbestimmt und frei, nicht manipuliert.


ENGLISH VERSION:


From Flip Phones to Consumerism: How Free Are We Really?


My very first job after university was at a large, vibrant telecommunications company. I worked in business marketing, where the goal was to sell as many SIM cards as possible, close lucrative deals, and challenge the dominant market leader. It was the era of Motorola flip phones—small was the gold standard. My boss at the time often talked about the latest trends and developments.


One day, he said something that made me pause: Phones, he claimed, would soon get bigger again. Huge screens. People wouldn’t just use them for calls anymore; they’d watch TV, take photos, listen to music—the possibilities were endless. For businesses, too, it would be revolutionary. Imagine, he said, a world where people always carried their devices, where phones would replace wallets, cameras, and iPods.

I remember my immediate reaction: Bullshit. That’s exactly what I thought. No way would we ever let ourselves be controlled like that. After all, we have free will, don’t we?


A few years later, in my second job as a management consultant, I worked on the innovation strategy for an even larger international telecommunications giant. That’s when I realized: Trends don’t happen by chance. They are carefully planned. My belief that phones would stay small and practical was naïve. The market evolved—exactly as intended—towards smartphones and data. And we, as consumers, happily went along for the ride, unaware of the destination.

Customer data became the new gold. Ads were personalized, delivered in real-time. Everything revolved around offering us the best deal. Yet somehow, we ended up in an endless cycle of consumption. We wanted more and more, without ever questioning why.


From Free Will to Invisible Control

Today, many years later, smartphones are an inseparable part of our lives. Grabbing our phones has become second nature. They are no longer just tools but constant companions that influence us in countless ways—rarely for our well-being.

On social media, we compare ourselves relentlessly, feeling dissatisfied and filling emotional voids with consumption. We crave things before we even realize we do, hoping to feel more like others. And while we believe we’re making free choices, opinions are being shaped, elections influenced, relationships formed—all quietly, subtly, unnoticed.


Dangerous.

That’s how I see it, especially when I notice how hard it is for me to put my phone down. It’s such an easy escape: a quick scroll, a few likes—and suddenly, the day feels a bit brighter.

Dangerous.

Because it’s no longer a conscious decision but an unconscious addiction, steering and influencing us without our awareness.


A New Generation of Self-Determination?

In Australia, there’s a proposal to ban social media for anyone under 16. As much as I advocate for self-determination—especially for children and teenagers—I can’t help but wonder: Could this be a good idea? Could it give young people the chance to solidify their self-image before comparing it to the unrealistic, retouched pictures on social media?

When will we start making choices again from our own inner power?


I once lived almost a year without a phone. During my 11-month journey around the world, there were many places in Africa with no reception. We had no choice but to be in the moment. I’ve experienced how quiet the mind can become. I know the difference.


I’m not saying everyone should live without a phone. But I wish for more awareness. That we start making decisions again—consciously, freely, and not manipulated.

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