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Writer's picturedie COACHIN

Dazwischen




-- English version below --


"Weißt du, welcher Tag morgen ist?

Morgen ist mein Glückstag."

"Und warum?"

"Morgen ist mein erster Schultag."


Als ich das Gespräch meiner beiden Söhne belausche, wird mir ganz warm ums Herz. Berührend, wie sehr er sich freut – auf die Schule, auf das Lernen, auf das Unbekannte, ohne genau zu wissen, was ihn erwartet.


Das war vor über einem Jahr.

Heute sitzen wir hier, etwas wehmütig und ratlos. Neben mir liegt eine Visitenkarte mit den Worten "Psychotherapie für Kinder", und daneben die Überweisung der Kinderärztin. Sie hat den hartnäckigen Reizhusten meines Sohnes gründlich untersucht, nur um uns dann mitzuteilen, dass es keine medizinische Ursache gibt. "Wahrscheinlich stressbedingt", fügt sie hinzu. "Ganz normal bei Kindern. Sie haben Bauchweh, Kopfweh – alles ohne wirklich krank zu sein. Das ist ein Mechanismus." Der Körper verarbeitet, was der Kopf nicht begreifen kann.


Völlig normal.

Wirklich?


Ich bin ein großer Fan von Psychotherapie. Ich habe selbst so viele verschiedene Ansätze für mich nutzen können, ja, ich habe sogar einige Ausbildungen absolviert. Therapie ist wichtig und richtig.


Was mich allerdings ins Staunen bringt, ist die Art und Weise, wie wir damit umgehen. Denn das Phänomen ist nicht neu, oder? Kinder freuen sich auf die Schule, solange sie noch nicht dort sind. Dass sich diese Freude irgendwann wandelt, scheint fest dazuzugehören. "Da müssen wir alle durch," hat meine Mutter oft zu mir gesagt.


Müssen wir das wirklich?


Der Sprung vom Glückstag bis hin zur ständigen Frage, wann die nächsten Ferien sind, war erschreckend kurz. Das formuliere ich auch bei der Lehrerin meines Sohnes, die es wohl persönlich nimmt und mich schnell in das Eck "Systemverweigerer" stellt. Diese Worte benutzt sie tatsächlich. Nun kommt neben all den genannten Gefühlen auch noch etwas Ratlosigkeit hinzu. Wann können wir damit beginnen uns auf einer Ebene des Austauschs zu begegnen, ohne die Dinge persönlich zu nehmen und uns angegriffen fühlen? Es geht mir nicht darum Schuldige an den Pranger zu stellen - da kann ich mich als nervende Mama gleich daneben stellen.


Es geht doch darum, dass wir uns fragen dürfen ob das jetzige Schulsystem noch gut ist, wie es ist. In Österreich gab es in der Vergangenheit 2 große Schulreformen - eine unter Kaiserin Maria Theresia und eine 1962. Ja genau, 1962. Das war die Generation meiner Eltern, die Baby Boomer die nach dem 2. Weltkrieg eilig die Ärmel hochkrempelten um die Welt wieder aufzubauen. Seitdem hat sich nicht so viel getan. Es werden noch immer die Fehler bestraft, die Kinder lernen, dass sie fürs brave Wiedergeben diverser Inhalte Sternchen sammeln können. Inwiefern das auf das Leben vorbereitet, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Ist es wirklich essentiell, dass jeder weiß in welchem Jahr Tutenchamun gestorben ist? Oder ist es vielleicht essentieller die eigenen Stärken und Schwächen kennenzulernen, neugierig aufs Leben zu bleiben, sein eigener Experte zu werden und den Umgang mit Geld zu lernen?


"Ich weiß, ihr alle denkt eure Kinder sind einzigartig und Sternchen. Jeder hat einen Prinzen und eine Prinzessin daheim. Die Wahrheit ist: sie sind nicht besonders." So oder ähnlich hat eine Direktorin mal einen neuen Jahrgang in der Schule begrüßt. Sie sind nicht besonders. Das schreit es in mir. NATÜRLICH SIND SIE ES. Sind wir doch alle! Wir haben nur leider vergessen was unsere Talente und Gaben sind und funktionieren in gut geölten Hamsterrädern, um tagtäglich ToDos abzuarbeiten und die längst vergessenen Träume haben wir in eine Kiste in den Schrank gepackt.


Das mag verbittert klingen. Ist es aber nicht. Weil in mir ist der große Wunsch, der Antrieb und auch der Glaube daran, dass wir etwas ändern können - wenn wir wollen.


Diese Frage stelle ich laut, als ich bei einem Diskussionsabend im Future Health Lab der Stiftung Megabildung sitze. Ich höre von PERMA Teach, Mentorenkonzepten an Schulen, lerne motivierte Lehrer und zahlreiche Interessierte kennen. Ich schöpfe Hoffnung. Es gibt andere Wege.


Es gibt inzwischen zahlreiche alternative Schulen, die versuchen, es besser oder zumindest anders zu machen. Da ist dann oft das andere Extrem: Waldschulen, offene Schulen, Privatschulen, die noch keine echten Privatschulen sind. Alles gute Ansätze, meist aber unfassbar teuer. Und wenn es nicht das Geld ist, was mich davon abgehalten hat, meinen Sohn in eine solche Schule zu schicken, dann war es die Sorge, ihn nicht ausreichend auf die Welt da draußen vorzubereiten – ihn in einer Blase großzuziehen, die irgendwann platzen könnte. Zu wenig "normal" zu sein. Wobei, was ist denn normal? Ist es normal das Kind in Therapie zu schicken, damit es im Schulalltag gut funktioniert?


Und auch wenn ich seit Jahren auf eine neue, große, 3. (!!) Bildungsreform in Österreich hoffe, ist meine Frage, was wir inzwischen machen können. Was ist denn die Lösung bis dahin? Gibt es denn nichts dazwischen?


Die Fragen, die ich mir stelle, sind vielfältig, und doch führen sie mich immer wieder zum selben Punkt: Es muss sich wohl etwas ändern. Im großen Ganzen. Mentale Gesundheit als Schulfach, Resilienztraining, Human Design für Kinder – die Ideen sind verschieden. Ein Besuch beim Psychotherapeuten sollte auf dieser Liste durchaus Platz finden. Aber er darf nicht die einzige Lösung sein – und vor allem nicht zur Normalität werden.


Ich höre meinen Sohn husten und werde aus den Gedanken gerissen.


English Version


INBETWEEN


Here is the English translation:

"Do you know what tomorrow is?"

"Tomorrow is my lucky day."

"And why?"

"Tomorrow is my first day of school."


When I overhear this conversation between my two sons, my heart feels warm. It's touching how excited he is—about school, learning, the unknown—without really knowing what to expect.


That was over a year ago.


Today, here we sit, a bit wistful and perplexed. Next to me lies a business card that reads "Psychotherapy for Children," and next to it, the referral from the pediatrician. She thoroughly examined my son’s persistent dry cough, only to tell us that there’s no medical cause. "Probably stress-related," she adds. "Totally normal in children. They have stomachaches, headaches—symptoms without really being sick. It’s a mechanism." The body processes what the mind can’t understand.


Totally normal.

Really?


I’m a big fan of psychotherapy. I’ve personally benefited from so many different approaches and have even completed some training myself. Therapy is important and valid.

But what amazes me is how we approach it. This phenomenon isn’t new, is it? Children are excited about school as long as they aren’t actually there. It seems almost inevitable that at some point, this excitement will fade. "We all have to go through it," my mother used to say to me.


Do we really have to?


The leap from "lucky day" to the constant question of when the next vacation is was shockingly short. I expressed this to my son’s teacher, who seemed to take it personally and quickly put me in the "system resister" category. She actually used those words. Now, alongside all the feelings already mentioned, I feel a bit bewildered. When can we start to meet each other on a level where we can exchange ideas without taking things personally or feeling attacked? I’m not here to point fingers at anyone—I could place myself right alongside them as the annoying mom.


The question is, can we still question if the current school system is good as it is? In Austria, there have been two major educational reforms in the past—one under Empress Maria Theresa and another in 1962. Yes, 1962. That was the generation of my parents, the Baby Boomers who rolled up their sleeves after World War II to rebuild the world. Not much has changed since then. Mistakes are still punished, and children learn that they can collect stars for obediently regurgitating various content. To what extent this prepares them for life, I honestly don’t know. Is it really essential that everyone knows the year Tutankhamun died? Or might it be more essential to learn about one's own strengths and weaknesses, to stay curious about life, to become one's own expert, and to understand money management?


"I know you all think your children are unique and special. Everyone has a prince or princess at home. The truth is, they are not special." So or something similar was how a principal once welcomed a new class at school. They are not special. It screams inside me. OF COURSE, THEY ARE. We all are! We just, unfortunately, have forgotten what our talents and gifts are and are functioning in well-oiled hamster wheels, checking off daily tasks while our long-forgotten dreams sit packed away in a box in the closet.


This may sound bitter. But it’s not. Because within me is the deep desire, the drive, and the belief that we can change things—if we want to.


I ask this question out loud as I sit at a discussion evening at the Future Health Lab of the Megabildung Foundation. I hear about PERMA Teach, mentoring concepts in schools, meet motivated teachers, and many interested people. I feel hopeful. There are other ways.


There are now numerous alternative schools trying to do things better—or at least differently. Often, though, it's the other extreme: forest schools, open schools, private schools that aren’t quite typical private schools. All good approaches, but usually unbelievably expensive. And if it wasn’t the cost that kept me from sending my son to one of these schools, it was the worry of not preparing him enough for the world out there—raising him in a bubble that could eventually burst. Being too little "normal." But what is "normal," anyway? Is it normal to send a child to therapy so they function well in everyday school life?


And even though I’ve been hoping for years for a new, big, 3rd (!!) educational reform in Austria, my question is what we can do in the meantime. Is there no middle ground?


The questions I ask myself are many, yet they always lead me back to the same point: something needs to change. On a large scale. Mental health as a school subject, resilience training, Human Design for children—the ideas vary. A visit to a psychotherapist should absolutely have a place on this list. But it cannot be the only solution—and above all, it should not become the norm.


I hear my son coughing and am pulled back from my thoughts.


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